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Der Rechtsstaat darf nicht auf Kosten von Bürgern und Unternehmen in
einen „Schutzstaat“ umfunktioniert werden. Insbesondere eine
Datenbevorratung durch staatliche oder private Stellen ohne jeden
Anlass würde dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf
informationelle Selbstbestimmung zuwiderlaufen. Dies sind wesentliche
Ergebnisse der 28. Datenschutzfachtagung (DAFTA) der Gesellschaft für
Datenschutz und Datensicherung e.V. (GDD) am 18. und 19. November 2004
in Köln.
Unter dem Leitthema „Orwell´s 1984 - 20 Jahre danach“ führte die
Veranstaltung zu einer kritischen Bestandsaufnahme staatlicher und
privatwirtschaftlicher Informationsverarbeitung. Der erste Europäische
Datenschutzbeauftragte, Peter Hustinx, informierte über die aktuell auf
EU-Ebene geführte Diskussion zur sog. Vorratsspeicherung durch
Telekommunikations- und Internet-Provider. Zwar stelle die Verbesserung
der grenzüberschreitenden Strafverfolgung ein wichtiges Anliegen dar,
jedoch dürfe die Privatsphäre der Nutzer nicht unverhältnismäßig
beschnitten werden. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter
Schaar, verdeutlichte anhand von weiteren aktuellen Beispielen, dass es
mehr denn je gilt, die rechtsstaatlichen Grenzen der Datenverarbeitung
zu wahren. Ausgelöst durch die Forderungen nach mehr Sicherheit, seien
die Datenerhebungs- und Verarbeitungsbefugnisse des Staates bereits
erweitert worden. Darüber hinaus lägen weitere Forderungen auf dem
Tisch. In diesem Zusammenhang sah Schaar es als kritisch an, dass
Behörden mit dem „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ ab dem 1.
April 2005 einen Online-Zugriff auf Kontoinformationen von Bankkunden
ermöglichen werden. Neben dem Staat sei aber auch die Wirtschaft
aufgefordert, bei ihrer modernen Informationsverarbeitung Maß zu halten
sowie die Transparenz und Entscheidungsfreiheit der Kunden zu
gewährleisten.
Dr. Thilo Weichert (Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für
Datenschutz, Kiel) griff in seinem tiefgründigen Vortrag das Leitthema
der diesjährigen DAFTA auf und analysierte, ob und inwiefern sich die
Visionen Orwell´s realisiert haben. Die Anschläge in den USA vom 11.
September 2001 hätten zu einem Überwachungsschub zu Lasten der gesamten
Bevölkerung geführt und die Kontrolltechniken seien inzwischen
mannigfaltig. Vor diesem Hintergrund drohe eine Umwandlung des
Rechtsstaats zum Schutzstaat. Mit den gewaltigen Massen an
„Datenschrott“, die bei einer anlasslosen Überwachung anfallen würden,
könne kein wesentlicher Sicherheitsgewinn erzielt werden. Es müsse
dabei bleiben, dass staatliche Überwachung und Repression nur als
Ultima Ratio im konkreten Einzelfall zulässig seien. Um zu vermeiden,
dass sich die Visionen Orwell´s doch noch realisierten, sei wenig
Überwachung aber viel Transparenz von Nöten.
Auch der langjährige Vorstandsvorsitzende der GDD, Bernd Hentschel,
sah Tendenzen zu einer „totalen Ausleuchtung“ des Einzelnen, wobei er
allerdings zwischen Staat und Wirtschaft differenzierte. Während die
sich zunehmend auch international etablierende betriebliche
Selbstkontrolle ein wirksames Korrektiv sei, versuche der Gesetzgeber
offenbar gar nicht mehr, den Begehrlichkeiten innerhalb der Exekutive
mäßigend entgegenzutreten. So brächten etwa die ständig neuen
Erfassungswünsche des Staates bei der Jagd auf Steuersünder nicht nur
das Bankgeheimnis in Gefahr.